GedichteGedichte

"Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt." [Khalil Gibran]

Blühender Kirschbaum

Ungezählte frohe Hochzeitsgäste,
Groß und kleine, einfach' und betretzte,
Herrn und Frauen, Edelfräulein, Ritter,
Ungezählte Väter wohl und Mütter,
Ungezählte Kinder, Großmatronen,
Jägerinnen viel und Amazonen,
Freche Dirnen auch mit Ernsten, Frommen
Auf dem Edelhof zusammenkommen.

Ungezählte bräutlich schöne Zimmer,
Da und dort wohl mädchenhafter Flimmer,
Ungezählte rosige Hochzeitsbetten
Und daneben traulich traute Stätten,
Rosenfarbig ausgeschlagne Stübchen
Für die Hafnerinnen und Schönliebchen,
Ungezählte Schalen mit Getränken,
Ungezählte Köche wohl und Schenken,
Ungemessner Raum zu freiem Walten
In dem Hochzeitshause ist enthalten.

Ungezähltes Kommen oder Gehen,
Abschiednehmen, Kehren, Wiedersehen,
Essen, Trinken, Tanzen, Liebesgrüßen,
Liebgewordnes umarmen müssen,
Ungezähltes inniges Umfassen,
Götterfreies Sichgewährenlassen,
Ungezähltes Leid und Selbstvergessen
In dem luftigen Saale – währenddessen
Ungezählte selige Minuten
An dem Freudenheim vorüberfluten.

Christian Wagner, 1835-1918


Vom Kirschbaum - Ferdinand Avenarius
Das Lied vom Kirschbaum - Johann Peter Hebel
Kirschblüte bei Nacht - Barthold Hinrich Brockes
Wem gehört das junge Laub - Achim von Arnim
Maienkätzchen, erster Gruß - Detlev von Liliencron
Blühende Bäume - Hugo von Hofmannsthal
Blütenreife - Hugo von Hofmannsthal
O wie ist der Epheu treu - Clemens Brentano
Die Eichbäume - Friedrich Hölderlin
Die Erlen - Novalis
Die Schlafende unterm Nussbaum - Max Dauthendey
Ginkgo Biloba - Johann Wolfgang von Goethe
Zerblättern die Apfelblüten - Max Dauthendey
Lockung - Joseph, Freiherr von Eichendorff
Ein Fichtenbaum steht einsam - Heinrich Heine
An einen Baum am Spalier - Sophie Mereau
Under der linden - Walther von der Vogelweide
...der Birnbaum des Herrn von Ribbeck zu Ribbeck im Havelland - Theodor Fontane
La feuille - Antoine Vincent Arnault
La branche d`amandier - Alphonse de Lamartine

Blütenleben

Lauer Schatten.

Ein blühender Birnbaum auf altem müden Gemäuer. Bronzefarbenes Moos quillt über die Kanten und Risse. Ringsum Gras, junggrün und durchsichtig. Es neigt sich leise und schmiegsam.

Harte blaßgelbe Winterhalme zittern dazwischen, farblos und schwach, wie vergrämte greise Haare. Aschgraues und purpurbraunes Laub, mit feinem Metallschimmer, wie tiefes gedunkeltes Silber deckt den Grund. Hie und da ein weißes Blütenblatt mit blaßrosiger Lippe. Leicht, zart, aber müde.

Das Geäst biegt sich dicht und tief zur Erde.
Sacht zerrinnt Blüte um Blüte und gleitet weiß, zögernd nieder.
Die Zweige senken sich tief, bis zu den einsam gefallenen Blüten.

Das Alter hat den Stamm zerschürft. In der gefurchten Rinde ziehen die Ameisen eine Straße hoch hinauf zur Krone. Emsig und flink rennt es aneinander vorüber.
Und dann oben die Bienen. Sie saugen schwerfällig und lüstern von den süßen Lippen und klammern trunken an den weichen Blütenrändern.

Ein üppiges Summen ist in der Laubkrone, ein einförmig gärender Ton.
Die Blüten zittern leise, und die jungen Blattspitzen zittern.
Der alte Baum wiegt sich und seufzt. Duft löst sich, schwebt hinaus in den blauen Sonnenschein, warmsüß und scharf herb.

Max Dauthendey, 1867-1918

 

 

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