Sonette aus Venedig
Dem deutschen Freunde, den die Sterne lenken
Zu dieser Inselstadt vom Meer beschäumet,
Sei dieses kleine Buch ein Angedenken,
Wann er am Ufer der Lagune säumet,
Wann Lieb' und Kunst ihm schöne Stunden schenken,
Wann er, gestreckt in einer Gondel, träumet;
Und legt er's weg, so mag er leise sagen:
Hier hat vor mir ein fühlend Herz geschlagen!
Mein Auge ließ das hohe Meer zurücke,
Als aus der Fluth Palladio`s Tempel stiegen,
An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen,
Die uns getragen ohne Falsch und Tücke.
Wir landen an, wir danken es dem Glücke,
Und die Lagune scheint zurück zu fliegen,
Der Dogen alte Säulengänge liegen
Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke.
Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne,
Mit ehrnen Flügeln sehen wir ihn ragen
Auf seiner kolossalischen Colonne.
Ich steig` an`s Land, nicht ohne Furcht und Zagen,
Da glänzt der Markusplatz im Licht der Sonne:
Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen?
-
Dieß Labyrinth von Brücken und von Gassen,
Die tausendfach sich ineinander schlingen,
Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen?
Wie werd` ich je dies große Räthsel fassen?
Ersteigend erst des Markusthurms Terrassen,
Vermag ich vorwärts mit dem Blick zu dringen,
Und aus den Wundern, welche mich umringen,
Entsteht ein Bild, es theilen sich die Massen.
Ich grüße dort den Ocean, den blauen,
Und hier die Alpen, die im weiten Bogen
Auf die Laguneninseln niederschauen.
Und sieh! da kam ein muth'ges Volk gezogen,
Palläste sich und Tempel sich zu bauen
Auf Eichenpfähle mitten in die Wogen.
-
Wie lieblich ist's, wenn sich der Tag verkühlet,
Hinaus zu sehn, wo Schiff und Gondel schweben,
Wenn die Lagune, ruhig, spiegeleben,
In sich verfließt, Venedig sanft umspühlet!
In`s Innre wieder dann gezogen fühlet
Das Auge sich, wo nach den Wolken streben
Pallast und Kirche, wo ein lautes Leben
Auf allen Stufen des Rialto wühlet.
Ein frohes Völkchen lieber Müssiggänger,
Es schwärmt umher, es läßt durch nichts sich stören,
Und stört auch niemals einen Grillenfänger.
Des Abends sammelt sich's zu ganzen Chören,
Denn auf dem Markusplatze will's den Sänger
Und den Erzähler auf der Riva hören.
-
Nun hab` ich diesen Taumel überwunden,
Und irre nicht mehr hier und dort in`s Weite,
Mein Geist gewann ein sicheres Geleite,
Seitdem er endlich einen Freund gefunden.
Dir nun, o Freund, gehören meine Stunden,
Du gabst ein Ziel mir nun, wonach ich schreite,
Nach dieser eil` ich oder jener Seite,
Wo, daß ich treffe dich, ich kann erkunden.
Du winkst mir zu von manchem Weihaltare,
Dein Geist ist ein harmonisches Bestreben,
Und deine sanfte Seele liebt das Wahre.
O welch ein Glück, sich ganz dir hinzugeben,
Und, wenn es möglich wäre, Jahr' um Jahre
Mit deinen Engeln, Gian Bellin, zu leben!
-
Venedig liegt nur noch im Land der Träume
Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen,
Es liegt der Leu der Republik erschlagen,
Und öde feiern seines Kerkers Räume.
Die ehrnen Hengste, die durch salz'ge Schäume
Dahergeschleppt, auf jener Kirche ragen,
Sie sind nicht mehr dieselben ach! sie tragen
Des korsikan'schen Überwinders Zäume.
Wo ist das Volk von Königen geblieben,
Das diese Marmorhäuser durfte bauen,
Die nun verfallen und gemach zerstieben?
Nur selten finden auf des Enkels Brauen
Der Ahnen große Züge sich geschrieben,
An Dogengräbern in den Stein gehauen.
-
Erst hab ich weniger auf dich geachtet,
O Tizian, du Mann voll Kraft und Leben!
Jetzt siehst du mich vor deiner Größe beben,
Seit ich Mariä Himmelfahrt betrachtet!
Von Wolken war mein trüber Sinn umnachtet,
Wie deiner Heil'gen sie zu Füßen schweben:
Nun seh` ich selbst dich gegen Himmel streben,
Wonach so brünstiglich Maria trachtet!
Dir fast zur Seite zeigt sich Pordenone:
Ihr wolltet lebend nicht einander weichen,
Im Tode hat nun jeder seine Krone!
Verbrüdert mögt ihr noch die Hände reichen
Dem treuen, vaterländischen Giorgione,
Und jenem Paul, dem wen'ge Maler gleichen!
-
Der Canalazzo trägt auf breitem Rücken
Die lange Gondel mit dem fremden Gaste,
Den vor Grimani`s, Pesaro`s Palaste
Die Kraft, das Ebenmaß, der Prunk entzücken.
Doch mehr noch muß er sich den Meisterstücken
Der frühern Kunst, die nie ein Spott betaste,
Euch muß er sich und eurem alten Glaste,
Pisani, Vendramin, Ca Doro bücken.
Die goth'schen Bogen, die sich reich verweben,
Sind von Rosetten überblüht, gehalten
Durch Marmorschäfte, vom Balkon umgeben:
Welch eine reine Fülle von Gestalten,
Wo, triefend von des Augenblickes Leben,
Tiefsinn und Schönheit im Vereine walten!
-
Es scheint ein langes, ew'ges Ach zu wohnen
In diesen Lüften, die sich leise regen,
Aus jenen Hallen weht es mir entgegen,
Wo Scherz und Jubel sonst gepflegt zu thronen.
Venedig fiel, wiewol's getrotzt 'Aeonen,
Das Rad des Glücks kann nichts zurückbewegen:
Öd` ist der Haven, wen'ge Schiffe legen
Sich an die schöne Riva der Sklavonen.
Wie hast du sonst, Venetia, geprahlet
Als stolzes Weib mit goldenen Gewändern,
So wie dich Paolo Veronese mahlet!
An der Gigantentreppe Prachtgeländern
Steht einsam nun ein Dichter und bezahlet
Den Thränenzoll, der nichts vermag zu ändern!
-
Ich fühle Woch' an Woche mir verstreichen,
Und kann mich nicht von dir, Venedig, trennen:
Hör` ich Fusina, hör` ich Mestre nennen,
So scheint ein Frost mir durch die Brust zu schleichen.
Stets mehr empfind` ich dich als ohne Gleichen,
Seit mir's gelingt, dich mehr und mehr zu kennen:
Im tiefsten fühl` ich meine Seele brennen,
Die Großes sieht und Großes will erreichen.
Welch eine Fülle wohnt von Kraft und Milde
Sogar im Marmor hier, im spröden, kalten,
Und in so manchem tiefgefühlten Bilde!
Doch um noch mehr zu fesseln mich, zu halten,
So mischt sich unter jene Kunstgebilde
Die schönste Blüthe lebender Gestalten.
-
Hier wuchs die Kunst wie eine Tulipane,
Mit ihrer Farbenpracht dem Meer entstiegen,
Hier scheint auf bunten Wolken sie zu fliegen,
Gleich einer zauberischen Fee Morgane.
Wie seyd ihr groß, ihr hohen Tiziane,
Wie zart Bellin, dal Piombo wie gediegen,
Und o wie lernt sich ird'scher Schmerz besiegen
Vor Paolo`s heiligem Sebastiane!
Doch was auch Farb' und Pinsel hier vollbrachte,
Der Meissel ist nicht ungebraucht geblieben,
Und manchen Stein durchdringt das Schöngedachte:
Ja, Wen es je nach San Giulian getrieben,
Damit er dort des Heilands Schlaf betrachte,
Der muß den göttlichen Campagna lieben!
-
Ihr Maler führt mich in das ew'ge Leben,
Denn euch zu missen könnt' ich nicht ertragen,
Noch dem Genuß auf ew'ge Zeit entsagen,
Nach eurer Herrlichkeit emporzustreben!
Um Gottes eigne Glorie zu schweben
Vermag die Kunst allein und darf es wagen,
Und wessen Herz Vollendetem geschlagen,
Dem hat der Himmel weiter nichts zu geben!
Wer wollte nicht den Glauben aller Zeiten,
Durch alle Länder, alle Kirchensprengel
Der Schönheit Evangelium verbreiten:
Wenn Palma`s Heil'ge mit dem Palmenstengel,
Und Paolo`s Alexander ihn begleiten,
Und Tizians Tobias mit dem Engel?
-
Zur Wüste fliehend vor dem Menschenschwarme,
Steht hier Johannes, um zu reinern Sphären
Durch Einsamkeit die Seele zu verklären,
Die hohe, großgestimmte, gotteswarme.
Voll von Begeisterung, von heil'gem Harme
Erglänzt sein ew'ger, ernster Blick von Zähren,
Nach Jenem, den Maria soll gebären,
Scheint er zu deuten mit erhobnem Arme.
Wer kann sich weg von diesem Bilde kehren,
Und möchte nicht, mit brünstigen Geberden,
Den Gott im Busen Tizians verehren?
O goldne Zeit, die nicht mehr ist im Werden,
Als noch die Kunst vermocht die Welt zu lehren,
Und nur das Schöne heilig war auf Erden!
-
Hier seht ihr freilich keine grünen Auen,
Und könnt euch nicht im Duft der Rose baden;
Doch was ihr saht an blumigern Gestaden,
Vergeßt ihr hier und wünscht es kaum zu schauen.
Die stern'ge Nacht beginnt gemach zu thauen,
Um auf den Markus Alles einzuladen:
Da sitzen unter herrlichen Arkaden,
In langen Reihn, Venedigs schönste Frauen.
Doch auf des Platzes Mitte treibt geschwinde,
Wie Canaletto das versucht zu malen,
Sich Schaar an Schaar, Musik verhallt gelinde.
Indessen wehn, auf ehrnen Piedestalen,
Die Flaggen dreier Monarchien im Winde,
Die von Venedigs altem Ruhme stralen.
-
Weil da, wo Schönheit waltet, Liebe waltet,
So dürfte Keiner sich verwundert zeigen,
Wenn ich nicht ganz vermöchte zu verschweigen,
Wie deine Liebe mir die Seele spaltet.
Ich weiß, daß nie mir dieß Gefühl veraltet,
Denn mit Venedig wird sich's eng verzweigen:
Stets wird ein Seufzer meiner Brust entsteigen
Nach einem Lenz, der sich nur halb entfaltet.
Wie soll der Fremdling eine Gunst dir danken,
Selbst wenn dein Herz ihn zu beglücken dächte,
Begegnend ihm in zärtlichen Gedanken?
Kein Mittel giebt's, das mich dir näher brächte,
Und einsam siehst du meine Tritte wanken
Den Markus auf und nieder alle Nächte.
-
Ich liebe dich, wie jener Formen eine,
Die hier in Bildern uns Venedig zeiget:
Wie sehr das Herz sich auch nach ihnen neiget,
Wir ziehn davon und wir besitzen keine.
Wol bist du gleich dem schöngeformten Steine,
Der aber nie dem Piedestal entsteiget,
Der selbst Pygmalions Begiereden schweiget,
Doch sey`s darum, ich bleibe stets der Deine.
Dich aber hat Venedig auferzogen,
Du bleibst zurück in diesem Himmelreiche,
Von allen Engeln Gian Bellins umflogen:
Ich fühle mich, indem ich weiter schleiche,
Um eine Welt von Herrlichkeit betrogen,
Die ich den Träumen einer Nacht vergleiche.
-
Was läßt im Leben sich zuletzt gewinnen?
Was sichern wir von seinen Schätzen allen?
Das goldne Glück, das süße Wolgefallen,
Sie eilen - treu ist nur der Schmerz - von hinnen.
Eh mir in`s Nichts die letzten Stunden rinnen,
Will noch einmal ich auf und nieder wallen,
Venedigs Meer, Venedigs Marmorhallen
Beschaun mit sehnsuchtsvoll erstaunten Sinnen.
Das Auge schweift mit emsigem Bestreben,
Als ob zurück in seinem Spiegel bliebe,
Was länger nicht vor ihm vermag zu schweben:
Zuletzt, entziehend sich dem letzten Triebe,
Fällt ach! zum letztenmal im kurzen Leben,
Auf jenes Angesicht ein Blick der Liebe.
August von Platen, 1796-1835
Gedichte:
- Gedichte über Zeit
- Jahreszeiten, Festtage, Anlässe
- Licht, Schatten, Farben, Düfte, Töne, Musik
- Poesie, Dichtung, Sprachkunst und Poetik
- Balladen, Fabeln, Märchen, Rätsel