Das Gedicht "Chartres" schrieb Joachim Ringelnatz.
Kirchenfenster, Kirchenfenster,
 Kirchenfenster, Kirchenfenst...
 Hoch im Dachgebälk der Kathedrale
 Sahen meine Freunde viel Gespenster.
 Ich sah nur ein einziges, das internationale,
 Ewige, gottfröhliche Gespenst,
 Das nicht nur in Kathedralen
 Sondern auch im Zöster und im Faust,
 Auch in Püffen und in Apfelsinenschalen
 Oder sonstens wo für den und jenen haust.
 Der Professor, welcher im Beruf
 Und bei seinen Leuten
 An sehr erster, prominenter Spitze steht,
 Wußte, wer das alles und wie und warum er's schuf:
 Und er bat die Freunde, ihn zu bitten, uns zu deuten.
 Und dann konnte er geflüssig, klar und sinnig
 Steine, Formen, Farben lesen.
 Und doch vor den schönen Kirchenfenstern bin ich
 Damals glücklich ganz fernanderswo gewesen.
 Doch dem Kirchendiener hab' ich lange
 Zugeschaut — das hat mich zweitens intressiert —.
 Wie der Kerl mit einer Eisenstange
 Und mit einem Holzpantoffel raffiniert
 Eine Maus beschlich.
 Ach, die hatte sich
 Scheu verirrt. — Nun mag man nicht vergessen,
 Daß oft Mäuse ohne Ehrfurcht oder Scham:
 Bibeln, Samt und Christusnasen fressen.
 Doch ich freute mich
 Ungeheuerlich,
 Als die Kirchenmaus dem Kirchendiener doch entkam.
Joachim Ringelnatz, 1883-1934
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