Das Gedicht "Lied der Toten" schrieb Novalis.
Lobt doch unsre stillen Feste,
 Uns`re Gärten unsre Zimmer
 Das bequeme Hausgeräte
 Unser Hab und Gut.
 Täglich kommen neue Gäste,
 Diese früh, die andern späte
 Auf den weiten Herden immer
 Lodert neue Lebensglut.
Tausend zierliche Gefäße
 Einst betaut mit tausend Tränen,
 Gold`ne Ringe, Sporen, Schwerter
 Sind in unser`m Schatz:
 Viel Kleinodien und Juwelen
 Wissen wir in dunkeln Höhlen,
 Keiner kann den Reichtum zählen,
 Zählt` er auch ohn` Unterlaß.
 Kinder der Vergangenheiten,
 Helden aus den grauen Zeiten,
 Der Gestirne Riesengeister
 Wunderlich gesellt,
 Holde Frauen, ernste Meister,
 Kinder, und verlebte Greise
 Sitzen hier in e i n e m Kreise
 Wohnen in der alten Welt.
 Keiner wird sich je beschweren,
 Keiner wünschen fortzugehen,
 Wer an unser`n vollen Tischen
 Einmal fröhlich saß.
 Klagen sind nicht mehr zu hören,
 Keine Wunden mehr zu sehen,
 Keine Tränen abzuwischen;
 Ewig läuft das Stundenglas.
 Tiefgerührt von heil`ger Güte
 Und versenkt in sel`ges Schauen
 Steht der Himmel im Gemüte,
 Wolkenloses Blau;
 Lange fliegende Gewande
 Tragen uns durch Frühlingsauen,
 Und es weht in diesem Lande
 Nie ein Lüftchen kalt und rauh.
 Süßer Reiz der Mitternächte,
 Stiller Kreis geheimer Mächte,
 Wollust rätselhafter Spiele,
 Wir nur kennen euch.
 Wir nur sind am hohen Ziele,
 Bald in Strom uns zu ergießen
 Dann in Tropfen zu zerfließen
 Und zu nippen auch zugleich.
 Uns ward erst die Liebe Leben;
 Innig wie die Elemente
 Mischen wir des Daseins Fluten,
 Brausend Herz mit Herz.
 Lüstern scheiden sich die Fluten,
 Denn der Kampf der Elemente
 Ist der Liebe höchstes Leben
 Und des Herzens eignes Herz.
Leiser Wünsche süßes Plaudern
 Hören wir allein, und schauen
 Immerdar in sel`ge Augen,
 Schmecken nichts als Mund und Kuß,
 Alles, was wir nur berühren,
 Wird zu heißen Balsamfrüchten,
 Wird zu weichen zarten Brüsten,
 Opfer kühner Lust.
 Immer wächst und blüht Verlangen
 Am Geliebten festzuhangen,
 Ihn im Innern zu empfangen,
 Eins mit ihm zu sein,
 Seinem Durste nicht zu wehren,
 Sich in Wechsel zu verzehren,
 Voneinander sich zu nähren,
 Voneinander nur allein.
 So, in Lieb und hoher Wollust
 Sind wir immerdar versunken,
 Seit der wilde trübe Funken
 Jener Welt erlosch;
 Seit der Hügel sich geschlossen;
 Und der Scheiterhaufen sprühte
 Und dem schauernden Gemüte
 Nun das Erdgesicht zerfloß.
 Zauber der Erinnerungen,
 Heil`ger Wehmut süße Schauer
 Haben innig uns durchklungen,
 Kühlen unsre Glut.
 Wunden gibts, die ewig schmerzen,
 Eine göttlich tiefe Trauer
 Wohnt in unser aller Herzen,
 Löst uns auf in e i n e Flut.
 Und in dieser Flut ergießen
 Wir uns auf geheime Weise
 In den Ozean des Lebens
 Tief in Gott hinein;
 Und aus seinem Herzen fließen
 Wir zurück zu unserm Kreise
 Und der Geist des höchsten Strebens
 Taucht in unsre Wirbel ein.
 Schüttelt eure goldnen Ketten
 Mit Smaragden und Rubinen,
 Und die blanken sauber`n Spangen,
 Blitz und Klang zugleich.
 Aus des feuchten Abgrunds Betten,
 Aus den Gräbern und Ruinen,
 Himmelsrosen auf den Wangen
 Schwebt ins bunte Fabelreich.
 Könnten doch die Menschen wissen,
 Uns`re künftigen Genossen, 
 Daß bei allen ihren Freuden
 Wir geschäftig sind:
 Jauchzend würden sie verscheiden,
 Gern das bleiche Dasein missen - 
 Oh! die Zeit ist bald verflossen,
 Kommt, Geliebte, doch geschwind!
 Helft uns nur den Erdgeist binden,
 Lernt den Sinn des Todes fassen
 Und das Wort des Lebens finden;
 Einmal kehrt euch um.
 Deine Macht muß bald verschwinden, 
 Dein erborgtes Licht verblassen,
 Werden dich in kurzem binden,
 Erdgeist, deine Zeit ist um.
Novalis, Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, 1772-1801
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