Das Gedicht "Ein Erwachen" schrieb John Henry Mackay.
 Wieder hat ein Morgen sich erhoben;
 Wieder ist der Träume Schwarm zerstoben –
 Alles wieder, wie es gestern war!
 Aber wie sie stumm vorüberziehen,
 Wie sie schweben, schwanken, schwinden, fliehen,
 Löst sich los ein Traum aus ihrer Schar.
 Und er gaukelt vor den wachen Sinnen.
 Und ich bange: was wird er beginnen?
 Wird er immer näher mich umziehn?
 Wird ihn nicht die kühle Morgenhelle
 Treiben von des müden Herzens Schwelle?
 Wird er bleiben? Wird auch er entfliehn?
 Will die Mutter Nacht ihr Kind mir lassen?
 Ach, ich kann das lustige nicht fassen,
 Und ich habe nicht nach ihm verlangt.
 Nimm es fort – so wie du einst die Stunden,
 Da es sich zuerst zu mir gefunden,
 Mit mir nahmst, vor deren mir noch bangt.
 Alles starb! – Was will ein Traum noch leben?
 Um dem Schmerze neue Kraft zu geben!
 Besser, auch das letzte Denken stirbt!
 Wie die Blume stirbt, wenn sie verblühte,
 Wie Begeisterung stirbt, wenn sie verglühte,
 Sterbe dieser Traum, der um mich wirbt!
 Er vermag dies Herz aus seinem Schweigen
 Nicht zu rütteln – mag er ihm auch zeigen
 Tage – Nächte, die vergangen sind.
 Tage, wo die Leidenschaft mich stählte,
 Nächte, wo die Liebe mich vermählte –
 Mutter Nacht, nimm hin dein dreistes Kind!
 Denn es wird mir lästig! – Überschritten
 Habe ich das Leben, und gelitten
 Habe ich – da frommt kein Träumen mehr.
 In die Welt warf ich mein freies Denken.
 Willst du mich aus meinen Bahnen lenken,
 Sende stärkere Kämpfer zu mir her!
 Die Vergangenheit bezwingt mich nimmer,
 Und Erinnerung mit ihrem Schimmer
 Zeigt mir neu des Lebens Tiefen nur.
 Wozu nutzlos in die dunklen tauchen?
 Wozu Wort in die Lüfte hauchen?
 Die im Äther lassen keine Spur?
 Und der Traum zerweht  – – –
 – – – Da plötzlich langen
 Fühle ich nach mir die Sehnsucht . . . Bangen
 Und das längstverlorene packt mich an.
 Wollte ich mit kühlen, starren Lügen
 Eben nicht mein armes Herz betrügen?
 Und zerstören einen süßen Bann?
 Was mich eben mitleidvoll umwoben
 Stieß ich von mir – und nun ist zerstoben
 Auch das Glück mit dieser Träume Schar . . .
 Und der ganze Jammer fasst mich wieder –
 Und ich stürze weh aufschreiend nieder – –
 Alles wieder, wie es gestern war!
John Henry Mackay, 1864-1933
Gedichte:
- Gedichte über das Leben
- Gedichte über den Mensch
- Gedichte über das Alter
- Naturgedichte
- Freundschaftsgedichte
 Gedichte
Gedichte Impressum
 Impressum Datenschutz
 Datenschutz