Das Gedicht "Der Gott der Jugend" schrieb Friedrich Hölderlin.
Gehn dir im Dämmerlichte,
   Wenn in der Sommernacht
   Für selige Gesichte
   Dein liebend Auge wacht,
   Noch oft der Freunde Manen
   Und, wie der Sterne Chor,
   Die Geister der Titanen
   Des Altertums empor,
Wird da, wo sich im Schönen
   Das Göttliche verhüllt,
   Noch oft das tiefe Sehnen
   Der Liebe dir gestillt,
   Belohnt des Herzens Mühen
   Der Ruhe Vorgefühl,
   Und tönt von Melodien
   Der Seele Saitenspiel,
So such im stillsten Tale
   Den blütenreichsten Hain,
   Und gieß aus goldner Schale
   Den frohen Opferwein!
   Noch lächelt unveraltet
   Des Herzens Frühling dir,
   Der Gott der Jugend waltet
   Noch über dir und mir.
Wie unter Tiburs Bäumen,
   Wenn da der Dichter saß,
   Und unter Götterträumen
   Der Jahre Flucht vergaß,
   Wenn ihn die Ulme kühlte,
   Und wenn sie stolz und froh
   Um Silberblüten spielte,
   Die Flut des Anio;
Und wie um Platons Hallen,
   Wenn durch der Haine Grün,
   Begrüßt von Nachtigallen,
   Der Stern der Liebe schien,
   Wenn alle Lüfte schliefen,
   Und, sanft bewegt vom Schwan,
   Cephissus durch Oliven
   Und Myrtensträuche rann,
So schön ists noch hienieden!
   Auch unser Herz erfuhr
   Das Leben und den Frieden
   Der freundlichen Natur;
   Noch blüht des Himmels Schöne,
   Noch mischen brüderlich
   In unsers Herzens Töne
   Des Frühlings Laute sich.
Drum such im stillsten Tale
   Den düftereichsten Hain,
   Und gieß aus goldner Schale
   Den frohen Opferwein,
   Noch lächelt unveraltet
   Das Bild der Erde dir,
   Der Gott der Jugend waltet
   Noch über dir und mir.
Friedrich Hölderlin, 1770-1843
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