Das Gedicht "O Traum der Wüste" schrieb Clemens Brentano.
O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen, 
   Blau überspannt vom Zelte, Stern an Stern;
   O Wüstenglut voll Tau, o Lieb' voll Tränen,
   Weil sich unendlich Nahes ewig fern
O Wüstentraum, wo Lieb' auf Herzschlag lauschet,
   Wenn flücht'gen Wildes Huf die Wüste drischt, 
   O Traum, wo der Geliebten Schleier rauschet,
   Wenn Geierflug im Sandmeer Schlangen fischt
O Wüstentraum, wo Liebe träumt zu fassen
   Jetzt Josephs Mantelsaum mit durst'ger Hand,
   Da geißelt wach, verhöhnt halb, ganz verlassen
   Ihr Herz, der Wüste Geißel, glüher Sand.
O Liebe, Wüstentraum der Sehnsuchtspalme,
   Die blütenlos Gezweig zum Himmel streckt,
   Bis segnend in des höchsten Liedes Psalme
   Der Engel sie mit heil'gem Fruchtstaub weckt.
O Wüste, Traum der Liebe, die verachtet
   Vom Haus verstoßen mit der Hagar irrt,
   Wo schläft der Quell? da Ismael verschmachtet,
   Bis deine Brust ihm eine Amme wird.
O Wüstentraum der Liebe, die sich sehnet,
   Steigt nie ein Weiherauch aus dir empor?
   Geht duftend, auf den Bräutigam gelehnet,
   Nie meine Seele heil aus dir hervor?
O Wüste, wo das Wort der ew'gen Liebe
   Im unversehrten Dorn vor Moses flammt,
   Ein Zeugnis, daß die Mutter Jungfrau bliebe,
   Aus deren Schoß der Sohn der Gottheit stammt.
Lieb', Wüstentraum, so laut des Rufers Stimme,
   »Bereit' den Weg des Herrn!« dir mahnend schallt,
   Summt in des Löwen Schlund dir doch die Imme,
   Die Süßes baut im Rachen der Gewalt.
O Durst der Liebe, Wüstentraum, wann spaltet
   Der Herr den Fels, daß Wasser gibt der Stein,
   Wann deckt in dir den Tisch, der gütig waltet,
   Wann sammle ich das Himmelbrot mir ein?
Durst, Liebe, Wüstentraum, dort scheint am Hügel
   Der Morgenstrahl, ein Hirtenfeuer weiß,
   Wo Durst gewähnt des Wasserfalles Spiegel
   Fand Liebe ein Geschiebe Fraueneis.
O Liebe, Wüstentraum des Heimatkranken,
   Ihr Paradiese, schimmernd in der Luft,
   Ihr Sehnsuchtsströme, die durch Wiesen ranken,
   Ihr Palmenhaine, lockend in dem Duft.
O Liebe, Wüstentraumquell, beim Erwachen
   Rauscht dir kein Quell, es wirbelt glüher Sand,
   Es saust das Haus der Schlangen und der Drachen
   Und prasselt nieder an der Felsenwand.
O Wüstentraum, wo Sehnsucht Feuer trinket,
   Und Liebe angehaucht vom gift'gen Smum,
   Ohn' Trost und Hoffnung tot zur Erde sinket; –
   O Tod ohn' Liebe, Hoffnung, Ehr' und Ruhm!
O Wüstentraum der Lieb'! in der Oase
   Labt dich am Quell, der zwischen Palmen glänzt,
   Ein schlankes Kind – die Schlange ist's im Grase,
   Der Räuber Kundschaftrin, ein Truggespenst.
O Liebe, Wüstentraum, nach kurzem Gasten
   Sprengt dich der Räuber gastfrei an mit Hohn:
   »Mein Brüderchen! entlaste dich zum Fasten,
   Wo denkest du hinaus, mein lieber Sohn?«
O Liebe, Wüstentraum, du mußt verbluten,
   Beraubt, verwundet, trifft der Sonne Stich,
   Der Wüste Speer dich, und in Sandesgluten
   Begräbt der Wind dich, und Gott findet dich!
Clemens Brentano, 1778-1842
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