GedichteGedichte

Bekannte Gedichte von Marianne von Willemer (1784 - 1860).

Suleika

Hochbeglückt in deiner Liebe
Schelt ich nicht Gelegenheit;
Ward sie auch an dir zum Diebe,
Wie mich solch ein Raub erfreut!

Und wozu denn auch berauben?
Gib dich mir aus freier Wahl;
Gar zu gerne möcht ich glauben -
Ja, ich bins, die dich bestahl.
Was so willig du gegeben,
Bringt dir herrlichen Gewinn;
Meine Ruh, mein reiches Leben
Geb ich freudig, nimm es hin!

Scherze nicht! Nichts von Verarmen!
Macht uns nicht die Liebe reich?
Halt ich dich in meinen Armen,
Jedem Glück ist meines gleich.

Westwind

Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide:
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide!

Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen;
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt' ich vergehen,
Hofft ich nicht, zu sehn ihn wieder.

Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen!
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen!

Sag' ihm aber, sag's bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben;
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

Ostwind

Was bedeutet die Bewegung?
Bringt der Ost mir frohe Kunde?
Seiner Schwingen frische Regung
Kühlt des Herzens tiefe Wunde.

Kosend spielt er mit dem Staube,
Jagt ihn auf in leichten Wölkchen,
Treibt zur sichern Rebenlaube
Der Insekten frohes Völkchen.

Lindert sanft der Sonne Glühen,
Kühlt auch mir die heißen Wangen,
Küßt die Reben noch im Fliehen,
Die auf Feld und Hügel prangen.

Und mir bringt sein leises Flüstern
Von dem Freunde tausend Grüße;
Eh' noch diese Hügel düstern,
Grüßen mich wohl tausend Küsse.

Und so kannst du weiterziehen.
Diene Freunden und Betrübten!
Dort, wo hohe Mauern glühen,
Find ich bald den Vielgeliebten.

Ach, die wahre Herzenskunde,
Liebeshauch, erfrischtes Leben
Wird mir nur aus seinem Munde,
Kann mir nur sein Atem geben!

Marianne von Willemer
Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832

Anmerkung: Goethe hat diese drei Gedichte leicht verändert in seinen West-östlichen Divan aufgenommen.


Zu den Kleinen zähl ich mich

Zu den Kleinen zähl ich mich,
Liebe Kleine nennst Du mich.
Willst Du immer so mich heißen,
Werd ich stets mich glücklich preisen,
Bleibe gern mein Leben lang
Lang wie breit und breit wie lang.

Als den Größten kennt man Dich,
Als den Besten ehrt man Dich,
Sieht man Dich, muß man Dich lieben,
Wärst Du nur bei uns geblieben,
Ohne Dich scheint uns die Zeit
Breit wie lang und lang wie breit.

Ins Gedächtnis prägt ich Dich,
In dem Herzen trag ich Dich,
Nun möcht ich der Gnade Gaben
Auch noch gern im Stammbuch haben,
Wärs auch nur den alten Sang:
Lang wie breit und breit wie lang.

Doch in Demut schweige ich,
Des Gedichts erbarme Dich,
Geh o Herr nicht ins Gerichte
Mit dem ungereimten Wichte,
Find es aus Barmherzigkeit
Breit wie lang und lang wie breit.

12. Oktober 1814

Korrespondenz

Dieses Gedichte verfasste Willemer in einem Brief an Goethe:

Zarter Blumen reich Gewinde
Flocht ich Dir zum Angebinde;
Unvergängliches zu bieten,
Ist mir leider nicht beschieden.

In den leichten Blütenranken
Lauschen liebende Gedanken,
Die in leisen Tönen klingen
Und Dir fromme Wünsche bringen.

Worte aus des Herzens Fülle
Sind wie Duft aus Blumenhülle;
Blumen müssen oft bezeigen,
Was die Lippen gern verschweigen.

Und so bringt vom fernen Orte
Dieses Blatt Dir Blumenworte;
Mögen sie vor Deinen Blicken
Sich mit frischen Farben schmücken!

August 1825

Goethe antwortet darauf in seinem Brief an Marianne mit folgendem Gedicht:

Sie
Zarter Blumen leicht Gewinde
Flecht ich dir zum Angebinde,
Unvergängliches zu bieten
War mir leider nicht beschieden.

In den leichten Blumenranken
Lauschen liebende Gedanken,
Die in leisen Tönen klingen
Und dir fromme Wünsche bringen.

Und so bringt vom fernen Orte
Dieses Blatt dir Blumenworte,
Mögen sie vor deinen Blicken
Sich in bunten Farben schmücken!

Er
Bunte Blumen in dem Garten
Leuchten von der Morgensonne,
Aber leuchten keine Wonne,
Liebchen darf ich nicht erwarten.

Sendest nun in zarten Kreisen
Die von dir gepflückten Sterne,
Zärtlich willst du mir beweisen
Du empfindest in der Ferne

Was ich in der Fern empfinde,
So als wär kein Raum dazwischen,
Und so blühen auch geschwinde
Die getrockneten mit frischen.

1825

 

 

Siehe auch die Biografie von Marianne von Willemer.