Der "West-östliche Divan" ist der letzte große Gedichtband von Johann Wolfgang von Goethe. Die Gedichtsammlung ist inspiriert von der persischen Sufi-Dichtung (aus dem 14. Jahrhundert) von Hafez von Shiraz, die Goethe 1814 in der deutschen Übersetzung des österreichischen Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall entdeckte, die 1812 erschien.
Ein Großteil der Gedichte geht auf Goethes Briefwechsel mit seiner Muse Marianne von Willemer (1784 - 1860) zurück; diese verfasste einige davon (insbesondere Westwind, Ostwind und Suleika), die Goethe anschließend überarbeitete, bevor er sie in den Abschnitt "Suleika" aufnahm.
Als das Spätwerk von Goethe (1749 - 1832) und auch der Thematik (Orient und Okzident) geschuldet war das Werk seinerzeit recht populär. Heute zählen allerdings bestenfalls ein Dutzend der über 350 Gedichte als "zeitlos". Dazu zählen die 3 Willemerschen Gedichte sowie "Talismane" (s.u.).
Zum Divan
Wer sich selbst und Andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen lass' ich gelten;
Also zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, sei's zum Besten!
Struktur
Im Erstdruck ("Stuttgart, in der Cottaischen Buchhandlung 1819"; eine erweiterte Fassung erschien 1827) bestand der Gedichtband aus folgenden Abschnitten, die jeweils einen orientalischen und einen deutschen Titel tragen:
- Moganni Nameh – Buch des Sängers
- Hafis Nameh – Buch Hafis
- Usch Nameh – Buch der Liebe
- Tefkir Nameh – Buch der Betrachtungen
- Rendsch Nameh – Buch des Unmuths
- Hikmet Nameh – Buch der Sprüche
- Timur Nameh – Buch des Timur
- Suleika Nameh – Buch Suleika
- Saki Nameh – Das Schenkenbuch
- Mathal Nameh – Buch der Parabeln
- Parsi Nameh – Buch des Parsen
- Chuld Nameh – Buch des Paradieses
- Noten und Abhandlungen
In Goethes Handschrift und in der Erstausgabe (Cotta, Stuttgart 1819) trägt das Werk den Titel West-östlicher Divan. Einige historische Ausgaben erschienen als West-östlicher Diwan oder Westöstlicher Divan.
Rezeption
Der West-östliche Diwan beeinflusste Dichter wie Friedrich Rückert, der 1822 seinen Gedichtband "Östliche Rosen" mit orientalischer Lyrik veröffentlichte, sowie Christian Morgenstern und Walter Benjamin. 1923 veröffentlichte der persischsprachige Dichter Sir Muhammad Iqbal als Antwort auf Goethes Gruß die Payam-e-Mashriq (Botschaft aus dem Osten).
Einige Gedichte wurden unter anderem vertont von
- Franz Schubert: Suleika I, op. 14 Nr. 1 D 720 (1821); Suleika II, op. 31 D 717 (1821); Geheimes, op. 14 No. 2
- Robert Schumann: Myrten, op. 25: Nr. 2 „Freisinn“, Nr. 5 „Sitz’ ich allein“, Nr. 6 „Setze mir nicht, du Grobian“, Nr. 8 „Talismane“, Nr. 9 „Lied der Suleika“
- Felix Mendelssohn Bartholdy: Suleika, op. 34 Nr. 4 (1837); Suleika, op. 57 Nr. 3 (1837)
- Hugo Wolf: einzelne Lieder aus den Goethe-Liedern
- Richard Strauss: „Wer wird von der Welt verlangen“, op. 67 Nr. 4 (1918)
- Waldemar von Baußnern: Sinfonische Kantate Hafis (1929)
Talismane
Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Occident!
Nord- und südliches Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände.
Er der einzige Gerechte
Will für jedermann das Rechte.
Sey, von seinen hundert Namen,
Dieser hochgelobet! Amen.
Mich verwirren will das Irren;
Doch du weißt mich zu entwirren.
Wenn ich handle, wenn ich dichte,
Gieb du meinem Weg die Richte.
Ob ich Ird’sches denk’ und sinne
Das gereicht zu höherem Gewinne.
Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben
Dringet, in sich selbst gedrängt, nach oben.
Im Atemholen sind zweyerley Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entläßt.