Schulgedichte, Rätsel, Lieder zur Kindheit und Schulzeit - aus früherer Zeit
Schulbeginn
Hörst du’s schlagen halber acht?
Gleich das Buch zurechtgemacht!
Schau, schon rudelt’s groß und klein,
dick und dünn zur Schul hinein.
Willst du gar der Letzte sein?
Schnell die Mappe übern Kopf
und die Kappe auf den Schopf.
Und nun spring und lern recht viel.
Friedrich Wilhelm Güll, 1812-1879
Lied vom feinen Mädchen
Ich bin ein fein's Mädchen,
kann drehen das Rädchen,
kann stricken die Maschen
und sticken die Taschen,
kann nädeln und putzen
und fädeln und stutzen,
kann singen und springen
und braten und kochen
das Fleisch und die Knochen.
Friedrich Güll, 1812-1879
Der Faulpelz
Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!
Tust du es nicht gerne,
Hilft's dir dennoch nicht.
In der Schule morgen
Weißt du dir es Dank.
Otto sitzt in Sorgen
Auf der Gartenbank.
Otto sitzt in Kummer
Unterm Lindenbaum;
Und er sinkt in Schlummer,
Weiß es selber kaum.
Fanny und Lenore
Treiben mit ihm Spaß,
Kitzeln ihn am Ohre
Mit dem Zittergras.
Otto's Geist ist ferne,
Und er merkt es nicht;
Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!
Erich Mühsam, 1878-1934
Versteckens
Im Nachbarhof - o schöne Welt!
Mit Brettern, Stangen, Dielen,
Wie ist da alles vollgestellt,
Recht zum Versteckens spielen.
Da ist ein Hügel, ein Mauerloch,
Ein kleiner Stall für Schweine,
Des Hundes Hütte und dazu noch
Die lustigen, großen Steine.
Wie uns in stiller Seligkeit
Die Stunden da entschwinden
Kein schönrer Fleck ist weit und breit
Auf dieser Welt zu finden!
In allen Winkeln groß und klein
Die einen sich verstecken,
Die andern suchen aus und ein
An allen End´ und Ecken.
Es folgen Hund und Vögelein
Dem fröhlichen Gewimmel.
O Kind, dir ist kein Raum zu klein,
Und jeder Raum ein Himmel!
Franz Bonn, 1830-1904
Der Weg zur Schule
Im Winter, wenn es frieret,
Im Winter, wenn es schneit,
Dann ist de Weg zur Schule
Fürwahr noch mal so weit.
Und wenn der Kuckuck rufet,
Dann ist der Frühling da,
Dann ist der Weg zur Schule
Fürwahr noch mal so nah.
Wer aber gerne lernet,
Dem ist kein Weg zu fern:
Im Frühling wie im Winter
Geh' ich zur Schule gern.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874
DIE JAHRESZEITEN
Die vier Brüder
Vier Brüder geh'n Jahr aus, Jahr ein
Im ganzen Jahr spazieren;
Doch Jeder kommt für sich allein,
uns Gaben zuzuführen.
Der erste kommt mit leichtem Sinn,
in reines Blau gehüllet,
streut Knospen, Blätter, Blüten hin,
Die er mit Düften füllet.
Der zweite tritt schon ernster auf
Mit Sonnenschein und Regen,
Streut Blumen aus in seinem Lauf,
Der Ernte reichen Segen.
Der Dritte naht mit Überfluss
Und füllet Küch' und Scheune,
Bringt uns zum süßesten Genuss
Viel Äpfel, Nüss und Weine.
Verdrießlich braust der Vierte her,
In Nacht und Graus gehüllet,
Zieht Feld und Wald und Wiesen leer,
die er mit Schnee erfüllet.
Wer sagt mir, wer die Brüder sind,
die so einander jagen?
Leicht rät sie wohl ein jedes Kind,
Drum brauch' ich's nicht zu sagen.
Friedrich von Schiller, 1759-1805
Das Lied vom Kirschbaum
Zum Frühling sagt der liebe Gott:
"Geh, deck dem Wurm auch seinen Tisch!"
Gleich treibt der Kirschbaum Laub um Laub,
viel tausend Blätter, grün und frisch.
Das Würmchen ist im Ei erwacht,
es schlief in seinem Winterhaus;
es streckt sich, sperrt sein Mäulchen auf
und reibt die blöden Augen aus.
Und darauf hat's mit stillem Zahn
an seinen Blätterchen genagt;
es sagt: "Man kann nicht weg davon!
Was solch Gemüs' mir doch behagt!"
Und wieder sagt der liebe Gott:
"Deck jetzt dem Bienchen seinen Tisch!"
Da treibt der Kirschbaum Blüt' an Blüt',
viel tausend Blüten, weiß und frisch.
Und's Bienchen sieht es in der Früh
im Morgenschein und fliegt heran
und denkt: Das wird mein Kaffee sein;
was ist das kostbar Porzellan!
Wie sind die Tässchen rein gespült!"
Es steckt sein Züngelchen hinein,
es trinkt und sagt: Wie schmeckt das süß!
Da muss der Zucker wohlfeil sein!"
Zum Sommer sagt der liebe Gott:
"Geh, deck dem Spatzen seinen Tisch!"
Da treibt der Kirschbaum Frucht an Frucht,
viel tausend Kirschen, rot und frisch.
Und Spätzchen sagt: "Ist's so gemeint?
ich setz' mich hin, ich hab' App'tit,
das gibt mir Kraft in Mark und Bein,
stärkt mir die Stimm' zu neuem Lied."
Da sagt zum Herbst der liebe Gott:
"Räum fort, sie haben abgespeist!"
Drauf hat die Bergluft kühl geweht,
und 's hat ein bissel Reif geeist.
Die Blätter werden gelb und rot,
eins nach dem andern fällt schon ab,
und was vom Boden stieg herauf,
zum Boden muss es auch hinab.
Zum Winter sagt der liebe Gott:
"Jetzt deck, was übrig ist, mir zu!"
Da streut der Winter Flocken drauf;
nun danket Gott und geht zur Ruh'!
Johann Peter Hebel, 1760-1826
FRÜHLING
Der Frühling ist die schönste Zeit
Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?
Da grünt und blüht es weit und breit
im goldnen Sonnenschein.
Am Berghang schmilzt der letzte Schnee,
das Bächlein rauscht zu Tal,
es grünt die Saat, es blinkt der See
im Frühlingssonnenstrahl.
Die Lerchen singen überall,
die Amsel schlägt im Wald!
Nun kommt die liebe Nachtigall
und auch der Kuckuck bald.
Nun jauchzet alles weit und breit,
da stimmen froh wir ein:
Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?
Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848
Der Osterhase
Seht, was sitzt denn dort im Gras!
Ist das nicht der Osterhas?
Guckt mit seinem langen Ohr
aus dem grünen Nest hervor.
Hüpft mit seinem schnellen Bein
über Stock und über Stein.
Seht auch her, was in dem Nest
liegt so rund und auch so fest:
Eier, blau und rot gefleckt,
hat er in dem Nest versteckt.
Immer muss er sie verstecken,
sucht drum schnell in allen Ecken.
(Volksgut)
Has, Has, Osterhas
Has, Has, Osterhas,
wir möchten nicht mehr warten.
Der Krokus und das Tausendschön,
Vergissmeinnicht und Tulpe stehn
schon lang in unserm Garten.
Has, Has, Osterhas,
mit deinen bunten Eiern!
Der Star lugt aus dem Kasten raus.
Blühkätzchen sitzen um sein Haus.
Wann kannst du Frühling feiern?
Has, Has, Osterhas,
ich wünsche mir das Beste:
ein großes Ei, ein kleines Ei,
dazu ein lustig Didldumdei.
Und alles in dem Neste.
Paula Dehmel, 1862-1918
April! April!
Der weiß nicht, was er will.
Bald lacht der Himmel klar und rein,
Bald schaun die Wolken düster drein,
Bald Regen und bald Sonnenschein!
Was sind mir das für Sachen,
Mit Weinen und mit Lachen
Ein solch Gesaus zu machen!
April! April!
Der weiß nicht, was er will.
O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!
Und schneit mir in den Blütenbaum,
In all den Frühlingswiegentraum!
Ganz greulich ist's, man glaubt es kaum
Heut Frost und gestern Hitze,
Heut Reif und morgen Blitze;
Das sind so seine Witze.
O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!
Hurra! Hurra!
Der Frühling ist doch da!
Und kriegt der raue Wintersmann
Auch seinen Freund, den Nordwind, an
Und wehrt er sich, so gut er kann,
Es soll ihm nicht gelingen;
Denn alle Knospen springen,
Und alle Vöglein singen.
Hurra! Hurra!
Heinrich Seidel, 1842-1906
Der Frühling kommt bald
Herr Winter, geh hinter
der Frühling kommt bald!
Das Eis ist geschwommen,
die Blümlein sind kommen
und grün wird der Wald.
Herr Winter, geh hinter,
dein Reich ist vorbei.
Die Vögelein alle,
mit jubelndem Schalle,
verkünden den Mai!
Christian Morgenstern, 1871-1914
Wettstreit
Der Kuckuck und der Esel,
die hatten einen Streit,
wer wohl am besten sänge
zur schönen Maienzeit.
Der Kuckuck sprach: "Das kann ich!"
und hub gleich an zu schrein.
"Ich aber kann es besser!"
fiel gleich der Esel ein.
Das klang so schön und lieblich,
so schön von fern und nah;
sie sangen alle beide:
"Kuckuck, Kuckuck, ia!"
Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874
ZUM MUTTERTAG
An meine Mutter
So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht
von Deiner Liebe, deiner treuen Weise;
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten wallten darüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Von einfach ungeschmücktem Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin:
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.
Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848
HERBSTWETTER
Die Geschichte vom fliegenden Robert
Wenn der Regen niederbraust,
wenn der Sturm das Feld durchsaust,
bleiben Mädchen oder Buben
hübsch daheim in ihren Stuben.
Robert aber dachte: Nein!
Das muss draußen herrlich sein!
Und im Felde patschet er
mit dem Regenschirm umher.
Hui, wie pfeift der Sturm und keucht,
dass der Baum sich niederbeugt!
Seht! Den Schirm erfasst der Wind,
und der Robert fliegt geschwind
durch die Luft so hoch, so weit.
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
An die Wolke stößt er schon,
und er Hut fliegt auch davon.
Schirm und Robert fliegen fort
durch die Wolken immerfort.
Und der Hut fliegt weit voran,
stößt zuletzt am Himmel an.
Wo der Wind sie hingetragen,
ja, das weiß kein Mensch zu sagen.
Heinrich Hoffmannn, 1809-1894
WINTER - und WEIHNACHTEN
A, a, a, der Winter der ist da.
Herbst und Sommer sind vergangen,
Winter, der hat angefangen,
A, a, a, der Winter der ist da.
E, e, e, nun gibt es Eis und Schnee.
Blumen blüh'n an Fensterscheiben,
Sind sonst nirgends aufzutreiben,
E, e, e, nun gibt es Eis und Schnee.
I, i, i, vergiss des Armen nie.
Hat oft nichts, sich zuzudecken,
Wenn nun Frost und Kält' ihn schrecken.
I, i, i, vergiss des Armen nie.
O, o, o, wie sind wir alle froh
wenn der Niklaus wird was bringen
und vom Tannenbaum wir singen
O, o, o, wie sind wir Kinder froh.
U, u, u, die Teiche frieren zu,
hei, nun geht es wie der Wind
übers blanke Eis geschwind,
U, u, u, die Teiche frieren zu.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874
Das Büblein auf dem Eis
Gefroren hat es heuer,
noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
und spricht so zu sich leis:
"Ich will es einmal wagen,
das Eis, es muss doch tragen."
Wer weiß?
Das Büblein stampft und hacket
mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket,
und krach! schon bricht es ein.
Das Büblein platscht und krabbelt
als wie ein Krebs und zappelt
mit Arm und Bein.
"O helft, ich muss versinken
in lauter Eis und Schnee,
o helft, ich muss ertrinken
im tiefen, tiefen See!"
Wär' nicht ein Mann gekommen,
der sich ein Herz genommen,
o weh!
Der packt es bei dem Schopfe
und zieht es dann heraus
vom Fuße bis zum Kopfe
wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
der Vater hat geklopfet
es aus zu Haus.
Friedrich Güll, 1812-1879
Knecht Ruprecht
Von drauß' vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht' durch den finstern Tann,
Da rief's mich mit heller Stimme an:
"Knecht Ruprecht", rief es, "alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan.
Alt' und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg ich hinab zur Erden,
Denn es soll wieder Weihnachten werden!"
Ich sprach: "O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo's eitel gute Kinder hat."
"Hast denn das Säcklein auch bei dir?"
Ich sprach: "Das Säcklein, das ist hier:
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
essen fromme Kinder gern."
"Hast denn die Rute auch bei dir?"
Ich sprach: "Die Rute, die ist hier;
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
Die trifft sie auf den Teil, den rechten."
Christkindlein sprach:" So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!"
Von drauß' vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich's hier innen find!
Sind's gute Kind, sind's böse Kind?
Theodor Storm, 1817-1888
Knecht Ruprecht
Draußen weht es bitterkalt,
wer kommt da durch den Winterwald?
Stipp - stapp, stipp - stapp und huckepack,
Knecht Ruprecht ist's mit seinem Sack.
Was ist denn in dem Sacke drin?
Äpfel, Mandeln und Rosin'
und schöne Zuckerrosen,
auch Pfeffernüss' fürs gute Kind
die andern, die nicht artig sind,
die klopft er auf die Hosen.
Martin Boelitz, 1874-1918
Morgen kommt der Weihnachtsmann
Morgen kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben
Trommel, Pfeife und Gewehr,
Fahn und Säbel und noch mehr,
Ja ein ganzes Kriegesheer,
Möcht' ich gerne haben.
Bring' uns, lieber Weihnachtsmann,
Bring' auch morgen, bringe
Musketier und Grenadier,
Zottelbär und Panthertier,
Roß und Esel, Schaf und Stier,
Lauter schöne Dinge.
Doch du weißt ja unsern Wunsch,
Kennest unsere Herzen.
Kinder, Vater und Mama
Auch sogar der Großpapa,
Alle, alle sind wir da,
Warten dein mit Schmerzen.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874
WEIHNACHTSWÜNSCHE
Der kleine Nimmersatt
Ich wünsche mir ein Schaukelpferd,
'ne Festung und Soldaten
Und eine Rüstung und ein Schwert,
Wie sie die Ritter hatten.
Drei Märchenbücher wünsch' ich mir
Und Farbe auch zum Malen
Und Bilderbogen und Papier
Und Gold- und Silberschalen.
Ein Domino, ein Lottospiel,
Ein Kasperletheater,
Auch einen neuen Pinselstiel
Vergiss nicht, lieber Vater!
Ein Zelt und sechs Kanonen dann
Und einen neuen Wagen
Und ein Geschirr mit Schellen dran,
Beim Pferdespiel zu tragen.
Ein Perspektiv, ein Zootrop,
'ne magische Laterne,
Ein Brennglas, ein Kaleidoskop
Dies alles hätt' ich gerne.
Mir fehlt - ihr wisst es sicherlich -
Gar sehr ein neuer Schlitten,
Und auch um Schlittschuh' möchte ich
Noch ganz besonders bitten.
Um weiße Tiere auch von Holz
Und farbige von Pappe,
Um einen Helm mit Federn stolz
Und eine Flechtemappe.
Auch einen großen Tannenbaum,
Dran hundert Lichter glänzen,
Mit Marzipan und Zuckerschaum
Und Schokoladenkränzen.
Doch dünkt dies alles euch zu viel,
Und wollt ihr daraus wählen,
So könnte wohl der Pinselstiel
Und auch die Mappe fehlen.
Als Hänschen so gesprochen hat,
Sieht man die Eltern lachen:
"Was willst du, kleiner Nimmersatt,
Mit all den vielen Sachen?
"Wer soviel wünscht" - der Vater spricht's -
"Bekommt auch nicht ein Achtel -
Der kriegt ein ganz klein wenig Nichts
In einer Dreierschachtel."
Heinrich Seidel, 1842-1906
Weihnachten
Markt und Straßen stehn verlassen,
still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend' geh ich durch die Gassen,
alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
sind so wunderstill beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Hehres Glänzen, heil'ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!
Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigt's wie wunderbares Singen -
O du gnadenreiche Zeit!
Joseph von Eichendorff, 1788-1857
Vom Christkind
Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee,
mit rot gefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.
Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack -
denkt ihr, er wäre offen der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!
Anna Ritter, 1865-1921
Weihnachtsschnee
Ihr Kinder, sperrt die Näschen auf,
Es riecht nach Weihnachtstorten;
Knecht Ruprecht steht am Himmelsherd
Und bäckt die feinsten Sorten.
Ihr Kinder, sperrt die Augen auf,
Sonst nehmt den Operngucker:
Die große Himmelsbüchse, seht,
Tut Ruprecht ganz voll Zucker.
Er streut - die Kuchen sind schon voll -
Er streut - na, das wird munter:
Er schüttelt die Büchse und streut und streut
Den ganzen Zucker runter.
Ihr Kinder sperrt die Mäulchen auf,
Schnell! Zucker schneit es heute;
Fangt auf, holt Schüsseln - ihr glaubt es nicht?
Ihr seid ungläubige Leute!
Paula Dehmel, 1862-1918
TIERISCHES?
Das Samenkorn
Ein Samenkorn lag auf dem Rücken,
Die Amsel wollte es zerpicken.
Aus Mitleid hat sie es verschont
Und wurde dafür reich belohnt.
Das Korn, das auf der Erde lag,
Das wuchs und wuchs von Tag zu Tag.
Jetzt ist es schon ein hoher Baum
Und trägt ein Nest aus weichem Flaum.
Die Amsel hat das Nest erbaut;
Dort sitzt sie nun und zwitschert laut.
Joachim Ringelnatz, 1883-1934
Der brave Strubel
Unser Hofhund, Strubel heißt er
ist gar lobesam;
nur die Ruhestörer beißt er,
denen ist er gram.
Ach, er liefe gern den Katzen
durch den Garten nach;
bellt auch gerne nach den Spatzen
auf dem Scheunendach.
Doch er muss darauf verzichten,
folgsam seinem Herrn;
denn er ist ein Hund mit Pflichten
und gehorcht wohl gern.
Wenn dann Väterchen ihm schmeichelt:
"hast es brav gemacht"
und das Kinn ihm gnädig streichelt,
ist's, als ob er lacht.
Und wie schön kann Strubel springen
und kann aufrecht gehn,
kann Verlornes wiederbringen
und kann Schildwach stehn!
Demut, Biedersinn und Treue
sind in ihm vereint,
und wir preisen stets aufs Neue
Strubel, unsern Freund.
Richard Dehmel, 1863-1920
Der Sperling und das Känguru
In seinem Zaun das Känguru
es hockt und guckt dem Sperling zu
Der Sperling sitzt auf dem Gebäude
doch ohne sonderliche Freude.
Vielmehr, er fühlt, den Kopf geduckt,
wie ihn das Känguru beguckt.
Der Sperling sträubt den Federflaus
die Sache ist auch gar zu kraus.
Ihm ist, als ob er kaum noch säße
Wenn nun das Känguru ihn fräße?!
Doch dieses dreht nach einer Stunde
den Kopf aus irgend einem Grunde,
vielleicht auch ohne tiefern Sinn,
nach einer andern Richtung hin.
Christian Morgenstern, 1871-1914
Die Gäste der Buche
Mietegäste vier im Haus
Hat die alte Buche.
Tief im Keller wohnt die Maus,
Nagt am Hungertuche.
Stolz auf seinen roten Rock
Und gesparten Samen
sitzt ein Protz im ersten Stock;
Eichhorn ist sein Namen.
Weiter oben hat der Specht
Seine Werkstatt liegen,
Hackt und zimmert kunstgerecht,
Daß die Späne fliegen.
Auf dem Wipfel im Geäst
Pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest.
Miete zahlt nicht einer.
Rudolf Baumbach, 1842 - 1905
Drei Spatzen
In einem leeren Haselstrauch
Da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.
Der Erich rechts und links der Franz
und mittendrin der freche Hans.
Sie haben die Augen zu, ganz zu
Und obendr über, da schneit es, hu!
Sie rücken zusammen, dicht, ganz dicht.
So warm wie der Hans hat’s niemand nicht.
Sie hörn alle drei ihrer Herzlein Gepoch
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie
noch.
Christian Morgenstern, 1871-1914
Eine seltsame Kaffee-Gesellschaft
Die Witwe Frau von Gänseschwein,
die lud sich die Gesellschaft ein,
die neulich auf dem Forsthaus war
bei einem Kaffee wunderbar.
Es sitzen da an einem Tisch:
Herr Fischent und Frau Entenfisch,
Herr Hanenhund, Frau Schnauzerhuhn,
die wollen sich recht gütlich tun,
dazu kommt noch Frau Schlangenpatz
mit ihrem Freund Herrn Ratzenkatz.
Sie trinkien viele Tassen leer,
es schmeckt der gute Kuchen sehr.
Dann lecken sie die Teller rein
und putzen sich die Mäuler fein,
sie grüßen sich und sagen:
Auf Wiedersehn in acht Tagen!
Heinrich Hoffmann, 1809-1894
Die Feder
Ein Federchen flog durch das Land;
Ein Nilpferd schlummerte im Sand.
Die Feder sprach: "Ich will es wecken!"
Sie liebte, andere zu necken.
Aufs Nilpferd setzte sich die Feder
Und streichelte sein dickes Leder.
Das Nilpferd sperrte auf den Rachen
Und musste ungeheuer lachen.
Joachim Ringelnatz, 1883-1934
LUSTIGES - UNGLAUBLICHES
Vom Schlaraffenland
Nun höret zu un schweiget still,
was ich euch wunders sagen will
von einem guten Lande.
Es bliebe mancher nicht daheim,
könnt er dahin gelangen.
Die Gegend heisst Schlaraffenland
ist faulen Leuten wohl bekannt,
liegt hinterm Zuckerberge.
Und willst du in das Land hinein,
friss dich hindurch die Zwerche.
Der Berg ist schier drei Meilen lang,
doch beiß dich durch und tu dir Zwang:
Gelingts dir ohne Schaden,
so findest du die Häuser all
gedeckt mit Eierfladen.
Tür und Wänd', das ganze Haus,
sind von Lebkuchenteig durchaus,
die Sparren Schweinebraten.
Kauft einer dort um Pfennigswert,
hier gilt es einen Dukaten.
Alle Brunnen sind voll süßem Wein,
rinnen einem selbst ins Maul hinein,
und andre süße Weine;
und wer die gerne trinken mag,
der macht sich auf die Beine.
Um jedes Haus, da ist ein Zaun
geflochten von Bratwürsten braun,
gebraten und gesotten.
Es mag sie essen, wer da will,
sie sind niemand verboten.
Auch fliegen um, das mögt ihr glauben,
gebratne Vögel, Gäns' und Tauben,
und wer sie nicht will fangen,
dem fliegen sie von selbst ins Maul,
braucht niemand danach langen.
Die Säu' geraten alle Jahr,
laufen herum und sind schon gar,
mit Messern in den Rücken,
dass jeder bald ohn' Aufenthalt
sich schneiden mag sein Stücke.
Fällt ein Wetter im Sommer ein,
so regnets lauter Honigseim.
Alle, die gern schlecken,
die laufen in das Land hinein,
da haben sie zu lecken.
Fängt es im Winter zu schneien an,
so schneit es nichts als Marzipan,
Rosinen auch und Mandeln,
und wer sie gerne knabbern mag,
der hat einen guten Handel.
Auf Tannen wachsen große Krapfen,
wie hierzuland die Tannenzapfen,
auf Fichten wachsen Schnitten.
Auch kann man von der Birken da
gute Speckkuchen schütten.
Auf Weiden wachsen Semmeln frei,
die Löffel hängen schon dabei,
darunter Milchbäch' fließen.
Die Semmel fallen in die Milch,
dass sie jeder kann genießen.
Faul' Gesinde, Mägde und Knecht,
sind in dem Lande gar eben recht.
Auf, Gretel, dann, und Stöffel!
Macht an den Milchbach euch geschwind
mit einem großen Löffel.
Wer tölpisch ist und gar nichts kann,
wird in dem Lande Edelmann,
und wer nichts tut als schlafen,
essen, trinken, tanzen und spielen,
der wird zu einem Grafen.
Wer der Allerfaulste wird erkannt,
ist König über das ganze Land
und hat ein groß' Einkommen.
Des Landes Art und Eigenschaft,
das habt ihr nun vollkommen.
Wer sich machen will auf die Reis'
und selbst dahin den Weg nicht weiß,
der mag einen Blinden fragen.
Ein Stummer ist auch gut dazu,
wird ihm nicht unrecht sagen.
Aus is, gar is,
schad', dass net wahr is!
Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874
Lügenmärchen
Ich will euch erzählen und will auch nicht lügen:
Ich sah zwei gebratene Ochsen fliegen,
sie flogen gar ferne —
sie hatten den Rücken gen Himmel gekehrt,
die Füße wohl gegen die Sterne.
Ein Amboss und ein Mühlenstein,
die schwammen bei Köln wohl über den Rhein,
sie schwammen gar leise —
ein Frosch verschlang sie alle beid'
zu Pfingsten wohl auf dem Eise.
Es wollten vier einen Hasen fangen,
sie kamen auf Stelzen und Krücken gegangen,
der erste konnte nicht sehen,
der zweite war stumm, der dritte war taub,
der vierte konnte nicht gehen.
Nun denkt sich einer, wie dieses geschah:
Als nun der Blinde den Hasen sah
auf grüner Wiese grasen,
da rief es der Stumme dem Tauben zu,
und der Lahme erhaschte den Hasen.
Es fuhr ein Schiff auf trockenem Land,
es hatte die Segel gen Wind gespannt
und segelt' im vollen Laufen,
da stieß es an einen hohen Berg,
da tät das Schiff ersaufen.
In Straßburg stand ein hoher Turm,
der trotzte Regen, Wind und Sturm
und stand fest über die Maßen,
den hat der Kuhhirt mit seinem Horn
eines Morgens umgeblasen.
Ein altes Weib auf dem Rücken lag,
sein Maul wohl hundert Klaftern weit auftat,
's ist wahr und nicht erlogen,
drin hat der Storch fünfhundert Jahr
seine Jungen großgezogen.
So will ich hiermit mein Liedlein beschließen,
und sollt's auch die werte Gesellschaft verdrießen,
will trinken und nicht mehr lügen:
bei mir zu Land sind die Mücken so groß,
als hier die größesten Ziegen.
Ernst Moritz Arndt, 1769-1860
Zur ERINNERUNG — für die "Großen", die Lehrer / innen und Eltern:
Mein Kind wir waren Kinder
Mein Kind wir waren Kinder,
Zwei Kinder klein und froh;
Wir krochen ins Hühnerhäuschen
Und steckten uns unter das Stroh.
Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei —
Kikereküh! — Sie glaubten,
Es wäre Hahnengeschrei.
Die Kisten auf unserem Hofe
Die tapezierten wir aus,
Und wohnten drin beisammen,
Und machten ein vornehmes Haus.
Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zu Besuch;
Wir machten ihr Bückling` und Knixe
Und Komplimente genug.
Wir haben nach ihrem Befinden
Besorglich und freundlich gefragt;
Wir haben seitdem dasselbe
Mancher alten Katze gesagt.
Wir saßen auch oft und sprachen
Vernünftig wie alte Leut`
Und klagten wie alles besser
Gewesen zu unserer Zeit;
Wie Lieb` und Treu` und Glauben
Verschwunden aus der Welt
Und wie so teuer der Kaffee,
Und wie so rar das Geld!
Vorbei sind die Kinderspiele
Und alles rollt vorbei,
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb und Treu.
Heinrich Heine, 1797-1856