Gedichte Licht-Schatten-Farben-Sinne-Wahrnehmung
Mich freiwillig trennend von den vielen alten Überlieferungen, die mir vorkamen wie Zeug- und Papierblumen, wie Überbleibsel alter Jahrhunderte, hatte ich nur einstweilen die neuen Gedanken in mein Herz gesät und fühlte, daß sie aufgehen wollten. Ich mußte nun geduldig warten wie ein Ackersmann. Wohl versuchte ich einige Male, in Gesprächen mit Schriftstellern und Dichtern auf die Weltanschauung von der Atomkraft und auf die Gedanken vom ewigen Lebensfest, von der festlichen Beseelung aller lebenden und aller sogenannten toten Dinge hinzuweisen und jene Freunde zu überzeugen. Aber meine Erklärungen waren hilflos. Ich hatte auch noch keine Beweise, um den mir befreundeten Dichtern an neuen Gedichten meine Weltanschauung zu erläutern. Und so mußte ich, immer wieder ohnmächtig gemacht von der Umgebung, die keine Ahnung hatte, was ich sagen wollte, einsam in mich zurücksinken, vertrauend, daß die Saat in mir im stillen, wenn ich gläubig bliebe, den Gedanken vom großen Lebensfest ganz von selber reifen würde und mir Beweise geben würde für die Möglichkeit, mit meiner festlichen Weltanschauung eine neue Dichtungsweise zu finden. Nachdem ich in jenem Heft der «Blätter für die Kunst» wegen des alten romantischen Geistes, der darinnen zutage trat, nicht viel Erbauung finden konnte, legte ich es auf die Seite und hatte es beinahe vergessen. Da erhielt ich eines Tages die schriftliche Aufforderung, dem Herausgeber ein Gedicht als Beitrag zu senden. Ich hatte nach einem Bilde Munchs, das sich «Der Kopf des Ertrunkenen» nannte, einen ganz winzigen Versuch zu einem Gedicht unternommen. Jenes Bild stellte ein blaues Teichwasser dar, aus welchem der Kopf eines Ertrunkenen ragte. Im Wasserspiegel schwammen die Widerscheine weißer, lieblicher Frühlingswolken, und ein silberweißer Schwan glitt hinter dem Menschenkopf friedlich, und sich gleichfalls wie eine Frühlingswolke auf der durchsichtigen Fläche spiegelnd, vorüber. Schwan, Wolken, Teichspiegel und Frühlingssonne lebten festlich, ohne daß der Schrecken des Todes, der aus dem Kopf des Ertrunkenen starrte, sie im Frühlingsfrieden störte. Die ungeheure Macht des Malers, den Frühlingsteich im Licht darzustellen und dabei den Menschen und seinen Untergang so nebensächlich zu behandeln, wie es sonst nur der Mensch der Natur gegenüber zu tun gewohnt ist, nebensächlich auf seine Mitwesen herabzusehen, – diese Auffassung erschütterte mich, und ich schilderte das Munchsche Bild und seine Tragik in ein paar kurzen Zeilen in einem Gedicht.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=