Gedichte Licht-Schatten-Farben-Sinne-Wahrnehmung
angenehm berührte. Aber als ich die Einleitung und die Gedichte darin lesen wollte, fand ich mich zuerst nicht zurecht, der Schreibweise wegen; alle Hauptwörter waren klein geschrieben. Das war mir zuerst fremd, schien mir aber nur eine Gewohnheitsfrage zu bedeuten. Der Inhalt dieser Blätter aber trennte sich noch stärker als die Schreibweise vom damaligen Zeitgeist. Mitten in der eben stürmisch eroberten Welt der Wirklichkeit trat der Geist der «Blätter für die Kunst» für die Welt der reinen Unwirklichkeit ein. Er hielt sich an den Geist der alten Romantiker. Nur war seine Sprache, der Neuzeit angemessen, gewählter. Aber die Dichter des Kreises der «Blätter für die Kunst» hatten gar nichts mit der Butzenscheibenromantik gemein, die ihre Vertreter in Viktor Scheffel und Julius Wolf gehabt hatte. Doch die Dichter der «Blätter für die Kunst» schienen immer noch der Anbetung der Menschenseele ergeben zu sein. Neben der ewigen Menschenseele schien es für sie noch eine unbelebte tote Welt zu geben und eine unverständigere Tier- und Pflanzenwelt, auf die man ein wenig lässiger herabsah. Die man sich aber nicht als Kameraden oder gar als Geist vom gleichen Geist dachte. Ich war mir aber damals selbst noch nicht klar, wie eine Verjüngung in der Dichtung zu erreichen war. Nur das war mir klar, daß eine Verjüngung nur aus der neuen Weltanschauung heraus entstehen konnte, aus dem Satz: wir besitzen alle und alle besitzen uns. Das heißt: Menschen, Pflanzen und Tiere und alle Dinge sind eine Seele und ein Leib, alle führen wirkliches und unwirkliches Leben zugleich, alle genießen dieselben Leiden des Hungers und dieselben Seligkeiten der Liebe und dieselbe Schöpferkraft des ewigen Lebens. Nichts im Weltall ist größer, als der Mensch es ist. Nichts ist kleiner, als der Mensch es ist. – Dieses zu wissen, machte mich aber noch nicht fähig, ganz und gar nach der neuen Weltanschauung zu leben, zu handeln und zu schaffen. Meine Freunde, der Denker und der Schweigende, studierten jetzt auf verschiedenen Universitäten Deutschlands weiter, und ich erschien mir in der Millionenstadt Berlin mit meiner festlichen Weltanschauung, die noch nicht einmal meinen ganzen Menschen durchdrungen hatte, die nur einstweilen meinen Verstand und meine Begeisterung gepackt hatte, wie ein kleines Atom, wie eine winzige Lebenszelle, die sich erst aufbauen wollte zu einem neuen organischen Leben.
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