Gedichte Licht-Schatten-Farben-Sinne-Wahrnehmung
meinen Roman «Josa Gerth», der eben erst erschienen war, Richard Dehmel zum Lesen gegeben. Ich hörte zum erstenmal den Namen, den er für sich so bekannt aussprach, als wenn er mir eine Stadt in Europa genannt hätte, die irgendwo auf der Landkarte stand, von der ich aber nichts wußte. Bald darauf besuchte mich eines Tages in meiner Studentenwohnung ein Herr, den meine Hausfrau in ihre gute Stube führte. Ich hatte den Namen des Besuchers nicht verstanden, und ich saß mit dem Fremden vor einem großen Tisch in der eiskalten guten Stube, in der ich selbst noch nie gewesen war, und wo ich mich auch als Besuch fühlte. Die Haltung des Fremden war sinnend und gedankenvoll, so daß mir jedes Wort im Halse steckenblieb. Der fremde Besucher hatte einen großen dunkelblauen Kragenmantel an – wie sie damals getragen wurden –, in dem er wie in einer Tarnkappe verborgen saß. Sein Gesicht schien mir sorgenvoll, und es war sehr durchfurcht. Und was der Fremde sagte, verstand ich nicht, denn er murmelte etwas Leises vor sich hin. Und er verstand wieder nicht, was ich gesagt hatte, denn meine Art war es ebenfalls, leise zu sein und leise zu sprechen – was meinen Vater und meine Umgebung oft zur Verzweiflung gebracht hatte. Wohl nahm ich mir ganz schüchtern heraus, nochmals nach seinem Namen zu fragen, aber ob der Besuch meine Frage verstanden hatte, das erfuhr ich nicht, denn er antwortete wieder etwas Leises, als antworte er seinen innersten Gedanken. Etwas lauter, und dieses Mal wahrscheinlich an mich gerichtet, mit einem leichten Blick in mein Gesicht, sagte mir dann der unergründliche Mensch, er habe mein Buch gelesen. Damit konnte ich aber nichts anfangen, denn er sagte nicht, ob es ihm gefallen hätte. Er murmelte etwas von «erstaunlicher Ausdrucksweise» und von sehr «farbig». Daraufhin versanken wir wieder, jeder in seine Stille. Es wurde, als gingen wir lautlos nebeneinander durch ein weites, weißes, totstilles Schneeland, ohne Weg und nicht wissend, woher und wohin. Dieses Nebeneinanderherdenken war eigentlich ganz nach meinem eigenen Wesen und Geschmack. Erlebt hatte ich das aber noch nicht bei einem Fremden. Der Zeitbegriff hörte beinahe auf, und es war die Stille um uns, von der es in der Bibel heißt: Tausend Jahre sind wie ein Tag. Dann erhob mein Besuch das furchenreiche Gesicht, das er meistens gegen die Tischplatte gesenkt gehalten hatte. Er sagte, er hoffe, daß ich ihn auch
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